Seit zwei Jahren versteckt sich David in seinem Zimmer. Der junge Mann hat den Kontakt zur Welt abgebrochen, seine einzige Verbindung nach außen ist das Internet. Auf die verzweifelten Versuche seiner Mutter Kristin, ein Gespräch durch die geschlossene Tür zu führen, reagiert er nicht. Kristin ist verzweifelt. Als sie aber durch einen Zufall erfährt, dass David sich als „Goliath96“ in einem Drachenbau-Forum im Netz angemeldet hat, sieht sie eine Chance, so den Kontakt zu ihrem Sohn wiederherstellen zu können. Sie meldet sich im Forum an, als „cinderella97“. Und es klappt. Doch je vertrauter die Gespräche der beiden im Netz werden, desto weniger scheint Kristin die Situation unter Kontrolle zu haben. Denn Goliath verliebt sich. Und zwar in Cinderella. Für seinen Film GOLIATH96 nutzt Regisseur Marcus Richardt das Phänomen des „Hikikomori“. Dieses Phänomen bezeichnet Menschen, die den Kontakt zur Gesellschaft entweder ganz abbrechen oder ihn auf das Nötigste beschränken. Der Film wählt die Perspektive einer alleinerziehenden Mutter, um sich dem Phänomen auf berührende und menschlich nachvollziehbare Weise zu nähern. Konsequent zeigt daher der Film auch zu Beginn nur sie, ihren Alltag und ihre Welt. Katja Riemann spielt Kristin als nach außen hin gefasst wirkende Frau, die unabhängig ihr Leben lebt, aber von der Verzweiflung, ihren Sohn verloren zu haben, und der Erinnerung an ein früher so enges Verhältnis, fast niedergerungen wird. Wie Kristin sich in eben jener Verzweiflung zu einem solchen Schritt wie dem Angeben einer falschen Identität im Netz hinreißen lässt, ist ein interessanter und starker Twist der Geschichte und bleibt durch das intensive Spiel Riemanns nachvollziehbar. Dass im zweiten Teil des Films auch die Geschichte des Sohnes erzählt wird, erhöht die Komplexität der geschickt gebauten Geschichte. Der eher kalten und von Gefühlen entfremdeten Atmosphäre trägt auch die Auswahl der Locations Rechnung. Das Haus wirkt merkwürdig unbewohnt, die Stadt kalt und anonym, selbst die Parkszenen trist und leblos. Den krassen Gegensatz dazu bilden die sonnendurchfluteten hellen Bilder einer schöneren gemeinsamen Zeit, in der ein roter Drachen am Meer seine Runden über dem Horizont dreht. GOLIATH96 ist ein gesellschaftlich hochaktuelles Mutter-Sohn-Drama, das bis zum Ende seine Spannung und Atmosphäre halten kann.